Die Premiere der österreichischen Erstaufführung von Andrew Lloyd Webbers Musical sorgte bereits im Vorfeld für reges mediales Interesse. Dagmar Koller musste krankheitsbedingt ihr Engagement in der Heimat absagen. Also, kein Besuch der Grande Dame am See. Neben ihr fehlt des Weiteren auch Hardy Rudolz (Max von Mayerling), er musste ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen der Premiere fern bleiben, wird aber anscheinend zu einem späteren Zeitpunkt in die Produktion einsteigen.
Prominente Vertretung wurde alsbald gefunden. Susan Rigvava-Dumas gibt anstelle von Dagmar Koller die gefallene Diva Norma Desmond, würdiger Ersatz, wenn auch nicht ansatzweise mit derselben Medien anziehenden Popularität versehen. Anders sieht es bei Hardy Rudolz „Ersatzmann“ aus. Kein Geringerer als Harald Serafin, auch bekannt als Mr. Wunderbar erweist Klagenfurt mit seinen doch 81 Jahren die Ehre.
Intendant Florian Scholz präsentiert die erste Musicalproduktion nach der Ära Köpplinger und möchte natürlich die Gunst des Publikums erhaschen.
Vieles ist neu im Kärntnerland, der Optimismus der politischen Neuorientierung ist an jeder Ecke zu spüren, so auch im Theater. Die neue Landesregierung wurde am Premierenabend beim Betreten ihrer Loge mit Applaus empfangen und präsentierte sich dem Publikum mit stolz geschwellter Brust. Eine Szenerie, die den Gepflogenheiten des britischen Empires nahe kam. Es bleibt den Kärntnern zu wünschen, dass die Erwartungen einigermaßen erfüllt werden und die Regierung auch weiterhin noch auf so wohlwollende Resonanzen von Seiten der Bevölkerung hoffen kann.
Etwas zögerlicher verhielt sich das Publikum im Bezug auf das gezeigte Produkt. Regisseur Patrick Schlösser, unverkennbar vom Sprechtheater kommend, inszeniert eine Geschichte in der Geschichte und verlangt vom Publikum von Beginn an vollste Aufmerksamkeit. Wer mit der Handlung nicht allzu vertraut ist, (es empfiehlt sich, das Programmheft vor Beginn der Vorstellung genauestens zu studieren) kann durchaus ins Strudeln kommen. Ähnliches passiert auch bei den Ensemblenummern, wenn man versucht, die Gesangssolisten ausfindig zu machen. Es findet derart viel Bewegung statt, dass es an manchen Stellen zu überladen rüberkommt. Wer die Originalversion kennt wird überrascht sein, aber ja, es wird getanzt in der Klagenfurter Inszenierung und das nicht zu wenig. Michael Langeneckert ist verantwortlich für die mal mehr mal weniger choreografierten Tanznummern, zumeist regiert aber die Improvisation. Das gleicht manchmal einem Chaos, stehen doch plötzlich weniger begabte Tänzer im Vordergrund, während sich die geschmeidiger Bewegenden im Hintergrund aufhalten müssen. Besonders wenn an allen Ecken und Enden der Bühne improvisiert wird, wünscht man sich mehr choreografische Handschrift und weniger freie Gestaltung, da dies so mancher Szene einiges an Stimmung und Drive nimmt oder überhaupt den Fokus zu sehr auf sich zieht und die Hauptprotagonisten, welche die Handlung vorantreiben sollen, ins Abseits drängen. Voranzutreiben versucht auch der musikalische Leiter Mitsugu Hoshino das Kärntner Sinfonieorchester, doch wollen die Damen und Herren dem Taktschwung des Japaners wenig Folge leisten. Zeitweise gleichen instrumentale Übergänge einem lang gezogenen Kaugummi. Der Klangkörper arbeitet solide, jedoch ohne großartig zu glänzen. Große Gefühle entstehen nur auf der Bühne, die Musik knallt einem teilweise laut um die Ohren. Im Orchestergraben scheint ein Kampf zu toben welches Register es denn schaffe, sich als Kräftigstes hervorzuheben. Begriffe wie Piano, Pianissimo und Co., welche vom Komponisten bedacht und mit Absicht in der Partitur gesetzt wurden, scheinen ignoriert zu werden, was der an sich glanzvollen Partitur einiges an Zauber raubt.
Wenn man dann noch mit, sagen wir, nur einem Stimmchen, statt mit einer kräftigen Stimme ausgestattet ist wie etwa Elisabeth Hübert (Betty Schäfer), geht man in den Klangeswogen eben unter. Hübert erweisst sich generell als eher blass, stimmlich kann sie nicht mithalten und schauspielerisch agiert sie ohne Gefühl. Ihr gegenüber steht David Arnsperger als eher untypischer Joe Gillis. Er ist nicht der gestriegelte Schnösel, sondern eher ein harter voller Ironie strotzend und sich selbst Suchender, der den Glauben an Hollywood zwar noch nicht aufgegeben hat, dem die Scheinwelt aber langsam überdrüssig wird. Es ist ein Genuss Arnsperger singen, spielen und auch tanzen zu sehen, jedoch sind Dumas und Hübert keine idealen Partnerinnen für ihn. Während Hübert neben ihm ins Hintertreffen gerät, macht es in den Szenen mit Dumas den Eindruck als sei er für sie kaum anwesend, ist sie doch zu sehr auf ihr eigenes Spiel fixiert und reagiert kaum auf Arnspergers Handeln. Lediglich in ihren Duetten scheint sie ihm ansatzweise Raum zu geben und mit ihm zu singen.
Das Highlight des Abends ist eindeutig Arnspergers Sunset Boulevard zu Beginn des zweiten Aktes. Alles was das Herz begehrt, findet sich in seiner Performance wieder. Die Stimme vermag den Raum für sich einzunehmen und hält den lauten Orchesterklängen ohne Probleme stand. Auch in den Duetten weiß Arnsperger zu glänzen, geht auf seine Gegenüber ein auch wenn diese das nicht tun oder nicht mithalten können, stellt sich nie zu sehr in den Vordergrund, sondern agiert szenendienlich ohne dabei in den Schatten gestellt zu werden. Selbst seine etwas fragwürdig inszenierte Todesszene, was die Regie sich hierbei gedacht hat kann man beim besten Willen nicht erahnen, lässt er nicht ins Lächerliche entgleiten, sondern behält Dynamik, Spannung und Fokus auf dem eigentlichen Konsens des Geschehens.
Ähnliches kann man von Susan Rigvava-Dumas leider nicht behaupten. Seit ihrer Verkörperung der Mrs. Danvers in der Wiener Inszenierung von REBECCA ist sie dem breiten Musicalpublikum ein Begriff, beeindruckend war ihre Interpretation der Mrs. Danvers.
Die Rolle der Norma Desmond stellt hohe Ansprüche, vor allem in schauspielerischer Hinsicht. Den Gefühlscocktail aus Zerrissenheit, Drama, Sehnsucht, manisch-depressiven Ausbrüchen und dergleichen sucht man bei Dumas aber vergebens. Sie schafft es kaum Spannung aufzubauen, ihre Ausbrüche kommen aus dem Nichts und verschwinden sogleich wieder dort hin. Sie singt sehr präzise, legt eine wunderbare Technik an den Tag, aber mehr auch nicht. Sie singt ihre Lieder einfach nur runter, da ist kein Spiel, kein Gefühl, der Funke springt einfach nicht über. Norma Desmond verblasst neben Arnsperger, welchen sie dann zurecht am Ende des Stückes erschießt, um endlich selbst im Mittelpunkt zu stehen. Dumas ist eine passable Alternative zu Dagmar Koller, wenn auch schauspielerisch der Grande Dame alles andere als gewachsen.
Schwer hatte es zu Beginn des Abends auch Harald Serafin. Seine Rolle des Max von Mayerling hat etwas Düsteres, Undurchschaubares an sich, Serafin ist der breiten Masse jedoch als Frohnatur und Scherzkeks bekannt. Anfänglich wollte ihm kaum jemand den stillen Fadenzieher im Hintergrund abkaufen, aber dann hat er zu singen begonnen. Quasi jeder Österreicher kennt Serafins heisere Stimme und manch einer hat vorab schon Zweifel an den Sangeskünsten aufkeimen lassen. Trotz seines fortgeschrittenen Alters sitzt jeder Ton exakt. Gewiss, das Orchester muss ihm schon sehr entgegenkommen und ab und an mal auf ihn warten, doch gelingt es Serafin seine Rolle authentisch wirken zu lassen. Für Auflockerung sollen Ensemblenummern sorgen, welche durch das meist improvisierte Gehopse erdrückend wirken können. Einen besonders heiteren Moment kreiert das Männerensemble, allen voran Christoph Apfelbeck als fröhlich warmer Herreneinkleider. Er umtänzelt bei „Es zahlt die Dame“ Arnsperger mit graziösem Gehopse und spielt großzügigst mit Regenbogenklischees, was äusserst unterhaltsam, weil nicht ins Lächerliche gezogen, rüberkommt und im Gedächtnis bleibt. Die Umsetzung der Klagenfurter Inszenierung ist spannend, nicht immer sehr griffig, mitunter zu zertanzt, an manchen Stellen langatmig und unsauber inszeniert. Die Besetzung kann sich sehen lassen, sie trägt das Stück mit allen Stärken und Schwächen durch den Abend. Allen voran David Arnsperger, der Glücksgriff der Produktion! Ein derart dramatisches Stück in einem Land wie Kärnten, in dem es von gefallenen Diven ja nur so wimmelt, auf die Bühne zu bringen ist zwar riskant, könnte in der momentanen Situation passender kaum sein.
Alle Infos zum Stück: Stadttheater Klagenfurt
Videobeitrag zur Premiere: Kleine Zeitung